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29. November 2024

Vorbild Königsklasse

Die Formel 1 hat sich über die letzten Jahre komplett neu erfunden und zu einer der populärsten Sportarten der Welt entwickelt. Peter Bayer, früherer Generalsekretär der FIA und aktuell Teamchef von Visa Cash App RB, erzählt, wie diese Transformation gelungen ist.

Vorbild  Königsklasse

© Getty Images/Red Bull Content Pool

Die Formel 1 hat sich innerhalb weniger Jahre von einem reinen Sport- zu einem umfassenden Entertainment-Event gewandelt, das längst nicht mehr nur typische Motorsportfans anspricht. Wie ist diese Transformation passiert? Peter Bayer: Das hängt einerseits mit Liberty Media zusammen, die die Formel 1 2017 gekauft und komplett überarbeitet hat. Der ganz große Katalysator für die Entwicklung war aber ganz klar Netflix mit „Drive to Survive“. Die Dokumentation hat die Formel 1 wirklich in jeden Haushalt gebracht. Das ist Sport mit Drama, mit Glamour, das hat etwas von einer Seifenoper, gleichzeitig ist es auch gefährlich und einfach spannend. Und dann wurde das Produkt selbst komplett überarbeitet mit einem neuen technischen Reglement, das das Rennfahren enger, spannender macht. Die USA, die lange keine Rolle gespielt haben, wurden als Markt entdeckt, gleichzeitig haben wir die Events selbst massiv aufgepolstert mit Partys, Konzerten, Flugshows etc. Sport und Musik sind zwei global verständliche Sprachen, deshalb ist die Kombination von beiden so spannend. Andrew Hourmont hat das damals mit dem Air & Style als einer der Ersten gemacht, und die Formel 1 hat das wirklich perfektioniert.

Gab es Befürchtungen, mit den Veränderungen auch einen Teil der Fans zu verlieren? Ganz klar, ja. Man kann das auch verfolgen, wenn man sich die diversen Internetforen anschaut, da gibt es wirklich Schlagabtausche zwischen den Purist:innen, die genau wissen, welche Rennzeit Ayrton Senna 1990 in Monaco gefahren ist, und jüngeren Fans, für die das überhaupt keine Relevanz hat. Mit dem Relaunch hat man sicher einige Fans verloren, aber dafür vielfach Neue dazugewonnen. In den USA hat jeder zweite Fan die Formel 1 innerhalb der letzten drei Jahre entdeckt und wir haben dort nach wie vor zweistellige Wachstumsraten bei den jungen Frauen unter 30. Das ist eine Kernzielgruppe mit enormem Potenzial, aber natürlich versucht man, die Balance zu halten und klassische Strecken wie Monza oder Suzuka zu behalten, weil die für die Fans wichtig sind. 

Ist so ein umfassender Weiterentwicklungsprozess notwendig, um die Zukunft von großen Sportevents oder vielleicht sogar ganzer Sportarten zu sichern? Hundertprozentig, ja. Wenn man nicht gerade König Fußball ist, muss man sich als Sport laufend damit auseinandersetzen, wie man attraktiv bleibt.

Kann die Formel 1 hier als Vorbild dienen? Wenn man sich anschaut, wie viele Sportarten jetzt eine Netflix-Dokumentation haben, kann man sicherlich sagen, dass die Formel 1 im Storytelling eine klare Vorbildfunktion hat. Aber auch andere Sportarten sind da interessant, man befruchtet sich gegenseitig. Wir überlegen uns beispielsweise gerade alle, wie wir die Drohnenkameras, die man von Skirennen kennt, in der Formel 1 einsetzen kann, ohne dass es gefährlich ist. Aber am Ende des Tages geht es immer um das Fanerlebnis, und da setzt die Formel 1 schon wahnsinnig hohe Maßstäbe. 

„Am Ende des Tages geht es immer um das Fanerlebnis, und da setzt die Formel 1 schon wahnsinnig hohe Maßstäbe.“

Peter Bayer

Wo gibt es in Ihren Augen trotzdem noch Entwicklungspotenzial? Bei uns ist an erster Stelle wichtig, das technische Reglement gut hinzubekommen. Alles, was das Schiedsrichter-Thema anbelangt – da sind wir noch zu langsam, zu komplex. Ich finde es ganz spannend, was zum Beispiel der Fußball macht mit dem VAR und den interaktiven Grafiken, die ganz klar und schnell zeigen, ob der Ball über der Linie ist oder nicht, ob es ein Abseits war oder nicht. Wenn es darum geht, dem Zuschauer zu erklären, was passiert, und zu vermitteln, wie schnell die Autos wirklich sind, da müssen wir aufholen. Und dann das Thema Diversität: Wie schaffen wir es, endlich eine Frau ins Cockpit zu bringen? Vor ein paar Jahren war der durchschnittliche Fan ein 45-jähriger weißer Mann, das ist heute viel jünger und diverser. Wir sehen das an der Anziehungskraft der Academy, wo junge Frauen mitfahren. Bei einem Event in Barcelona waren heuer Hunderte junge Mädchen nur wegen unserer Fahrerin da. Deshalb ist es extrem wichtig, dass wir einen Weg finden, wie wir darauf aufbauen können – und das glaubwürdig. Das zweite ganz große Thema ist Nachhaltigkeit. Wir investieren aktuell Unmengen an Geld, um besonders im Bereich Logistik nachhaltiger zu werden – die Rennen selbst machen nur einen minimalen Teil des CO2-Abdrucks aus, unser Problem ist die Logistik mit den Flugzeugen und Trucks.

Wie kommen die klassischen Rennstrecken, die unter komplett anderen Voraussetzungen angefangen haben, mit den veränderten Anforderungen klar? Für die ist es eine Riesenherausforderung. Das fängt damit an, dass die Infrastruktur zum Teil sehr veraltet ist, die Garagen, die Hospitality Suiten, das zieht sich eigentlich durch, egal ob das in Monza ist, in Spa oder in Suzuka. Die Logistik ist auch immer ein Thema: Wenn ich in Katar irgendwo mitten in die Wüste bauen kann, kann ich natürlich auch die Anreise perfekt planen. In Monza steht man ewig im Stau, weil man mit dem Auto durch die Stadt fahren muss, und bekommt dann nicht einmal einen Parkplatz. Diese Strecken tun sich mit den Anforderungen eines modernen Formel-1-Events extrem schwer, aber gleichzeitig ist das natürlich auch der Charme dieser klassischen Strecken. 

?p=image&src=%7B%22file%22%3A%22images%2F2412%2Fbayer2 Vorbild  Königsklasse – Saison Tirol

© Getty Images/Red Bull Content Pool

Zur Person: 

Peter Bayer   

ist seit seiner Jugend ein großer Fan der Formel 1. Nach dem BWL-Studium und mehreren anderen Stationen – unter anderem als CEO der Olympischen Jugendspiele in Innsbruck 2012 – hat es der Vorarlberger inzwischen auch beruflich in die Königsklasse des Motorsports geschafft: Seit Sommer 2023 ist er CEO von Visa Cash APP RB, dem zweiten Formel-1-Team von Red Bull. Erste Erfahrungen im Motorsport konnte er vorher bereits in der FIA (Fédération Internationale de l’Automobile) sammeln, wo er von 2017 bis 2022 unter Präsident Jean Todt als Generalsekretär tätig war.  

Sie haben auch außerhalb des Motorsports Erfahrung mit sportlichen Großveranstaltungen gesammelt, unter anderem als CEO der Youth Olympic Games 2012 in Innsbruck. Wie haben diese Erfahrungen Sie geprägt, was haben Sie davon in die Formel 1 mitgenommen? Ich bin heute, wo ich bin, aufgrund meiner Tätigkeit bei den Jugendspielen. Das war der Startschuss meiner Karriere, von dort aus konnte ich das Netzwerk aufbauen, das letztlich den Sprung in die Formel 1 möglich gemacht hat. Und die Jugendspiele haben ja unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Voraussetzungen stattgefunden, sie wurden im Vorhinein auch sportlich viel kritisiert – da haben die Leute gesagt, das kann nie funktionieren. Mich hat das extrem motiviert, mit meinem Team zu beweisen, dass es doch geht, ohne dabei Geld zu verlieren und ohne die Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen. Da habe ich großes Durchsetzungsvermögen entwickelt und eine ganz tiefe Kenntnis, wie und wieso etwas funktioniert, was mir heute oft hilft in dieser relativ komplexen Welt, in der ich mich bewege. Tirol und die Formel 1 sind übrigens auch nicht so weit voneinander entfernt, wie man vielleicht denkt: Es gibt hier eine sehr große Affinität zur Formel 1. Gerhard Berger und Franz Tost sind bekannte Tiroler Aushängeschilder in der Branche, und wenn ich beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel bin, treffe ich die Hälfte meiner Kolleg:innen – Skifahren und Motorsport liegen ja extrem eng beieinander, das fängt bei der Linienführung an, dieser Sucht nach Geschwindigkeit, und geht weiter bis zur Leidenschaft für Technik. Das passt schon gut zusammen. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Text: Lisa Schwarzenauer

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