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22. April 2024

Anders werben

Tirol ist mit einem gut geschärften Profil als touristische Marke erfolgreich. Trotzdem lohnt es sich zu betrachten, wie sich andere Regionen und Länder nach außen präsentieren und wie dies auf potenzielle Gäste wirkt. 

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© Target Group

Einen Blick über den Tellerrand zu riskieren, erweitert den Horizont. Für das Tourismusland Tirol bedeutet es, andere Destinationen, deren Stärken und Strategien wahrzunehmen. Dabei sind manche von ihnen dem Land im Gebirge näher als andere, sei es, weil sie eine ähnliche Topografie aufweisen oder über ein ähnliches Angebot verfügen. Auf der Hand liegt etwa ein Vergleich mit Staaten oder Regionen, die wie Tirol in den Alpen liegen, darunter Slowenien oder die Schweiz. Whistler in British Columbia fällt einem vielleicht nicht auf Anhieb als Region mit ähnlichen Merkmalen ein, und doch gibt es einiges, was den kanadischen Hotspot mit Tirol verbindet. In Sachen Markenbildung sind zudem Destinationen interessant, die in fast jeder Hinsicht anders sind als Tirol. Jüngstes Beispiel dafür ist Saudi-Arabien, das erst vor wenigen Jahren begonnen hat, sich als Tourismusland zu positionieren.


Slowenien

Die Liebe im Namen

Bleiben wir zunächst in der Nähe des Tellerrands, linsen wir knapp am Speckknödel vorbei und über die Grenzen Österreichs hinweg. In Bezug auf Größe und alpine Landschaft ist Slowenien Tirol ähnlich. Seine Tourismusstrategie zielt darauf ab, sich als nachhaltig und grün darzustellen. Der Slogan I FEEL SLOVENIA und der Webauftritt, der den Hausberg Triglav ebenso ins Zentrum rückt wie junge, sportliche Menschen, sprechen Gäste emotional an. Wilde Natur wie im Sotchatal, materielles und immaterielles UNESCO-Welterbe wie die Imkerei und die Lipizzaner gehören dazu. Auch die Grotte von Postojna, die malerische Adriastadt Piran mit ihren Salinen, die Weine und die hochstehende Küche sollen zeigen, dass das Land um seine Schätze weiß und mit ihnen schonend umgeht. 

Das ist in vielerlei Hinsicht glaubwürdig. Mit der Verankerung von Umweltschutz in der Verfassung, der Hauptstadt Ljubljana als European Green Capitol 2016 und der Erfüllung von 96 der 100 Kriterien für grüne Zielgebiete gilt Slowenien als eines der nachhaltigsten Reiseziele der Welt, so die Marktexpertin für Kroatien, Slowakei und Slowenien der Österreich Werbung Borbala Mercz. „Das touristische Ausmaß ist jedoch in Slowenien deutlich geringer als in Tirol“, urteilt FH-Professor Hubert Siller, langjähriger Leiter des Department für Tourismus- & Freizeitwirtschaft am MCI, über die Anziehungskraft des Landes. Im Detail – etwa beim Umweltstandard von Hütten – sei das Niveau in Tirol gleich hoch oder sogar höher, das Thema Nachhaltigkeit werde in Slowenien aber wesentlich offensiver kommuniziert.

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Nicht der Schweizer Kanton Graubünden, sondern der slowenische Triglav lockt mit Steinbock in die Natur.
© I Feel Slovenia Jost Gantar


Whistler 

Cultural Brand in Kanada

Ähnliches wie in Slowenien nimmt Hubert Siller in Whistler wahr. Auch im Vergleich mit der Region in British Columbia seien die österreichischen Umweltstandards höher. Kommunikation und Marketing gelingen in Whistler aber besonders gut. Beeindruckt zeigt sich der Tourismusexperte vor allem davon, dass die Region den Sprung von der Wintersport- zur Bikemarke und schließlich zur Cultural Brand geschafft hat. Wer auf der Website whistler.com Nachschau hält, bekommt ein Urlaubsziel präsentiert, das wirklich alles bietet: Sommer- und Wintersport, Shopping und Ausgehen in einem pulsierenden Zentrum, entspannende Heilbäder, Museen, Gourmetrestaurants und Kulturfestivals. Und weil man auch in den Pacific Ranges mit eigenen Erfolgen nicht hinter dem Berg hält, listet Whistler noch seine jüngsten Erfolge auf, nämlich Auszeichnungen für „das beste Skigebiet, die besten Hotels, die besten Restaurants und das beste Golfresort“.

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Natur, Kultur und Sport sind unter dem Dach der Marke Whistler vereint.
© Jing Zhong/Shutterstock.com


Schweiz

Vielfalt und Modernität 

Heißt das Zauberwort also wie in Whistler Klotzen statt Kleckern? Nicht unbedingt, denn auch Understatement kommt gut an. Die Schweiz gilt beispielsweise seit je als alpines Land schlechthin, oder wie Hubert Siller es ausdrückt: „Schweiz ist Bergkompetenz.“ Noch sichtbarer wurde dies, als Schweiz Tourismus vor einigen Jahren die Destinationsmarke Schweiz schärfte und nach eigener Darstellung „vermehrt auf den emotionalen Nutzen des Reiseerlebnisses in der Natur“ setzte. Ähnlich wie in Tirol ist auch hier der Ansatz, hohe Qualität zu bieten und damit das Marketingversprechen eines heraus­ragenden Erlebnisses einzulösen. 

Das goldene Edelweißlogo, das als Sujet knapp 30 Jahre lang den Werbeauftritt der Schweiz begleitete, hat seit Kurzem jedoch ausgedient. Für viele überraschend, präsentierte Schweiz Tourismus Ende April 2024 stattdessen ein Logo, das stärker die „umfassende touristische Markenwelt“ symbolisieren soll. Im ausschließlich englischen Schriftzug „Switzerland“ ist das T durch ein Schweizer Kreuz auf rotem Grund ersetzt – eine Reverenz an die Schweizer Flagge und bekannte Schweizer Stärken wie „Natur, Gastfreundschaft und Zuverlässigkeit“. Dass das Rot in fünf verschiedene Töne aufgefächert ist, soll Moderne, Vielfalt und Eigenständigkeit ausdrücken – und wohl auch die starke Verknüpfung mit den Bergen ein wenig aufbrechen. Denn mit dem Schweizer Kreuz lassen sich nicht nur die höchsten Gipfel bewerben, sondern auch Städte, Kulturangebot oder eine Produktwelt aus Schokolade, Uhren und Schweizer Messern.

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Berge, Natur, Idylle suchen Gäste in der Schweiz. Unter dem neuen Logo soll aber
„eine Markenwelt, so multifunktional wie ein Taschenmesser“ Platz finden.
© Schweiz Tourismus Andre Meier


Saudi-Arabien 

Neuer Player auf dem internationalen Markt

Während die Schweiz ihre bekannten Stärken nur etwas deutlicher als bisher nach außen trägt, erfindet sich Saudi-Arabien als Tourismusdestination neu. Das Land führte dazu einen Markenbildungsprozess durch und setzt dessen Ziele strikt um. Der Hintergrund ist der Wunsch nach wirtschaftlicher Diversifizierung – weg vom Öl, hin zum Tourismus – und einer veränderten internationalen Wahrnehmung. „Durch die Öffnung für den internationalen Tourismus möchte Saudi-Arabien sein Image in der Welt verbessern und als modernes, offenes und kulturell reiches Land wahrgenommen werden“, erläutert Anni Lichtenegger von der Österreich Werbung Dubai. 

Erreicht werden soll dies mit der Reformagenda „Vision 2030“, die sich auf Infrastruktur, Tourismus, Bildung, Gesundheitswesen und Technologie erstreckt, mit Investitionen in das UNESCO Welterbe des Landes, mit Förderungen von Start-ups und Initiativen zur digitalen Transformation. Auf gesellschaftlicher Ebene soll die Öffnung des Landes für den Tourismus mit einem kulturellen Wandel, mit Bildung und Qualifizierung sowie internationalen Partnerschaften einhergehen. Dazu werden Megaprojekte wie die futuristische Stadt NEOM, das Red Sea Project mit Luxushotels, Resorts und Naturschutzgebieten und der Freizeitkomplex Qiddiya gebaut. Nachhaltige Projekte wie die Begrünung der Stadt Riad oder der Bau von Solarkraftwerken und Windparks werden ebenfalls umgesetzt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar, begleitet wird der Prozess u. a. von globalen Marketing- und Social-Media-Kampagnen. 

Der international häufig geäußerten Kritik an Menschenrechtsverletzungen und dem Handel mit fossilen Brennstoffen begegnet die saudische Regierung, indem sie „ihre Bemühungen um mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht“ und die „Komplexität der Reformprozesse betont“, so Anni Lichtenegger. Ob die Reformen innerhalb des absolut regierten Staates tatsächlich so umfassend sind, wird sich weisen – ebenso ob Saudi-Arabien mit seiner Tourismusstrategie den gewünschten Erfolg erzielt. Hubert Siller erwartet „einen relativ schnellen Boom“ und führt diesen auch darauf zurück, dass die touristische Marke Saudi-Arabien „mit unglaublicher Präzision“ weiterentwickelt wurde. In diesem Punkt könne sich Tirol von Saudi-Arabien noch etwas abschauen, meint Siller – auch wenn die beiden Regionen ansonsten denkbar weit auseinanderliegen.

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Saudi-Arabien steht für Öl und Reichtum. Derzeit profiliert sich der Golfstaat als Tourismusland und steckt Hunderte Milliarden Dollar in neue Projekte.
© Q world/Shutterstock.com

Text: Esther Pirchner

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