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24. Juni 2024

Der Mensch im Mittelpunkt

Als Genetiker und stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission befasst sich Markus Hengstschläger auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz. In seiner Keynote am Tiroler Tourismusforum 2024 spricht er darüber, warum Menschen auch im Zeitalter von KI unersetzbar bleiben werden – ein Thema, das er auch im Interview mit SAISON anspricht.

Der Mensch im Mittelpunkt

© Udo Titz

„Durch KI wird es in Zukunft möglich sein, genetische Analysen des Menschen besser zu interpretieren.“ 

Markus Hengstschläger, Genetiker

KI erscheint mittlerweile allgegenwärtig. Erreichen wir bald ein Plateau oder sind wir erst am Anfang der Entwicklung? Markus Hengstschläger: Im Bereich der Medizin zum Beispiel befindet sich die Anwendung der KI erst am Anfang. Durch KI wird es in Zukunft möglich sein, genetische Analysen des Menschen besser zu interpretieren. Das wird die Basis für die Entwicklung vieler neuer Therapien sein und die Weiterentwicklung der sogenannten Präzisionsmedizin ermöglichen.

Mit der Verbreitung der Technologie steigen auch die Ängste. Steuern wir auf ein „Mensch-gegen-“ oder ein „Mensch-mit-Maschine“-Szenario zu? Mit gewissen Einschränkungen sind Technologien ethisch neutral – es kommt darauf an, was der Mensch damit macht. Im Sinne eines digitalen Humanismus sollte der Mensch bei der Interaktion zwischen Mensch und Maschine im Zentrum bleiben. Dafür brauchen wir unter anderem entsprechende Schnittstellenkompetenz und das Fördern von digitaler Ethik. Natürlich braucht es auch entsprechende Rahmenbedingungen, denn nicht alles, was gemacht werden kann, soll auch gemacht werden.

 Was haben Menschen einer künstlichen Intelligenz voraus? Ich sehe es so, dass KI dem Menschen in vielen Zusammenhängen enorm helfen kann. Um aktuelle und zukünftige Herausforderungen bewältigen zu können, brauchen wir laufend neue Lösungen. In vielen Zusammenhängen stellt aktuell der Mensch die Fragen und die KI ist ihm bei der Beantwortung von Hilfe.

Wie unterscheidet sich die Lösung einer Aufgabe, die von einer KI stammt, von der, die ein Mensch entwickelt? Der Begriff Intelligenz ist nicht so einfach klar zu definieren und damit ist „künstliche Intelligenz“ vielleicht etwas irreführend. Eine von Empathie getragene Lösungsbegabung des Menschen denkt im Idealfall immer wieder über den Tellerrand hinaus. Es wird aber auch davon gesprochen, dass KI, wie auch andere technologische Entwicklungen, oft kurzfristig überschätzt und langfristig unterschätzt werden könnte.

„In vielen Zusammenhängen stellt aktuell der Mensch die Fragen und die KI ist ihm bei der Beantwortung von Hilfe.“

Markus Hengstschläger, Genetiker

Ist diese menschliche Lösungsbegabung inhärent oder können beziehungsweise müssen wir daran arbeiten und sie fördern? Begabungen sind genetisch mitbestimmte Potenziale, die allerdings erst durch Wissenserwerb und Üben zur Entwicklung kommen. Der Mensch ist auch bei der Lösungsbegabung nicht auf seine Gene reduzierbar. Gene sind nur Bleistift und Papier, die Geschichte schreiben wir selbst.

 Das bedeutet aber auch, dass Menschen in Bereichen und Industrien, in denen diese Begabung weniger gefragt ist, durchaus verdrängt werden können? Es wird definitiv zu Verschiebungen kommen. Es werden aber auch laufend neue Aufgaben und Berufe für den Menschen entstehen.

 Wie sieht das in der Tourismusbranche aus? Ist der Servicebereich davon ausgenommen? Es liegt auf der Hand, dass Bereiche, bei denen der zwischenmenschliche Kontakt von hoher Relevanz ist, dem Menschen vorbehalten bleiben werden. Gemeinsam mit der Tatsache, dass KI auch in der Tourismusbranche von hohem unterstützendem Wert sein kann, sind das meiner Meinung nach gute Aussichten für Menschen, die in Zukunft in dieser Branche arbeiten wollen.

Was muss gesellschaftlich und wirtschaftlich geschehen, damit wir auf die kommenden Entwicklungen adäquat vorbereitet sind? Es geht darum, Themen wie digitale Bildung, digitale Ethik, die Förderung der Kompetenz an der Schnittstelle von Mensch und Maschine und das Fördern von Lösungsbegabung voranzutreiben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: 

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger 

ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien, wo er forscht, unterrichtet und genetische Diagnostik betreibt. Er leitet unter anderem den Think Tank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission und Kuratoriumsmitglied des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds. Außerdem ist er als Autor, Berater, Wissenschaftsmoderator und Gründer sowie Leiter des Symposiums „Impact Lech“ tätig. 

Text: Markus Hengstschläger