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04. Juli 2025

Sehnsuchtsort Berg

Christoph Engl leitet seit 2018 die Oberalp Gruppe in Bozen. Der Experte für Markenentwicklung schildert im Interview, wie die Berge zunehmend als Sehnsuchtsorte wahrgenommen und welche Tourismusmodelle künftig von Bedeutung sein werden.

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© shutterstock.com

Herr Engl, welche aktuellen Trends und Entwicklungen in Bezug auf Sommertourismus beobachten Sie derzeit in der Sportartikelbranche? ENGL: Bei den Bergsportinteressierten geht die Tendenz weg vom Spezialisten hin zum Multifunktionsbergbegeisterten. Immer mehr Leute zeigen uns in ihrem Interesse und Kaufverhalten, dass sie an hybriden Produkten interessiert sind, die ihnen mehrere Möglichkeiten der Nutzung bieten – auch deshalb, weil sich viele noch nicht genau entscheiden können, welche Sportart sie für ihre Sommeraktivitäten aussuchen sollen. Viele Disziplinen am Berg verbinden sich daher, beispielsweise „Hike & Fly“ oder Trailrunning. Früher wurde am Berg gewandert und am Asphalt gelaufen – jetzt fügt sich das alles in einem zusammen.

Was bedeutet das in der Angebotsentwicklung bzw. in der Ausrichtung? Als Bergsportspezialisten könnten wir aus den Trends ablesen, dass diese Multifunktionswünsche dann in einer Destination auch berücksichtigt sein müssten. Das bedeutet, nicht mehr davon auszugehen, dass Wandernde nur Wanderwege brauchen, um sich eine Woche lang in den Bergen wohlzufühlen, sondern dass sie vielleicht auch einmal Rad fahren oder sich auch in einen Klettersteig wagen – oder überhaupt ins Tal mit einem Gleitschirm zurückfliegen, anstatt vom Berg wieder abzusteigen.

Werden uns diese hybriden Modelle in Zukunft also verstärkt begegnen? Davon bin ich überzeugt – vor allem, weil sich immer mehr Generationen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen am Berg treffen. Wir als Bergsportanbieter haben heute in unseren Kollektionen zwei Communitys vor Augen, die sich nicht nur ungleich am Berg verhalten, sondern auch andersartige Ideen davon haben, was der Berg für sie bedeutet. Diese Generationenunterschiede werden sich zunehmend überlappen. Jeder, der anfängt, den Berg als hybrideres Produkt zu sehen und zu konzipieren, ist daher auf der richtigen Spur.

Verliert das klassische Wandern dadurch an Bedeutung? Wandern und sich Bewegen im Gebirge werden nach wie vor eine große Rolle spielen. Im Trend liegen aber sicherlich längere Touren über mehrere Tage, Trailruns über größere Distanzen sowie zusammenhängende Touren, die von Hüttenaufenthalten unterbrochen werden. Es geht ein bisschen weg von Tagesausflügen und stärker hin zum intensiven Erlebnis, zu einem mehrtägigen Erleben und Leben am Berg.

„Wandern und sich Bewegen im Gebirge werden nach wie vor eine große Rolle spielen.“

Wie könnte dieses Erleben ausschauen? Generell sehe ich, dass die Eroberung des Berges zu Ende ist und Ruhe einkehrt. Denn die große Frage lautet: Was ist knapp im Leben? Daraus ergeben sich Sehnsüchte nach dem „simple life“ und Träume, die sich so ausdrücken, dass ich länger auf dem Berg bleiben möchte. Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Berges verändert sich – und das erklärt wiederum, warum Alpinhütten heute oft einen besseren Auslastungsgrad haben als die Hotels im Tal.

Woher kommt diese Sehnsucht nach einem einfachen Leben? Die kommt eindeutig von einer immer komplexeren Welt des Alltags. Dadurch werden Gegenwelten erschaffen. Auch die zunehmende Verstädterung trägt dazu bei, immerhin leben heute weltweit rund 75 Prozent der Menschen bereits in Städten. Da sehe ich große Veränderungen, die wir auch in unserem Unternehmen sehr deutlich wahrnehmen.

Ist das eine Frage der Generation? Ich glaube, dass das Thema Sehnsucht und Leben am Berg altersunabhängig ist. Das hat mit dem Alter weniger zu tun, weil die Welt für junge Menschen oft noch komplexer ist als für jene, die das halbe Leben schon hinter sich gebracht haben. Soziale Medien sorgen dafür, dass jede Meldung unmittelbar eine Sensationsmeldung wird – die Welt ist daher unruhig in der Wahrnehmung der Menschen.

Kann Tirol davon profitieren? Ganz sicher, wenn das einfache Leben am Berg Platz im Angebot findet und die Infrastruktur dafür zur Verfügung gestellt wird – nach dem Motto „less stuff, more life“. Das ist eine große Herausforderung. Man muss das sowohl sprachlich als auch angebotsseitig adressieren. Dafür braucht es verstärkt Vorbilder und Mut in der gesamten Produktentwicklung des Bergtourismus – keine alten Konzepte, die fortgeschrieben werden.

Die Frage ist dabei nicht, was braucht es jetzt, sondern wofür werden die Menschen in 20 Jahren ihr Geld ausgeben wollen? Was wird dort zu viel sein und was zu wenig? Wovon es sicher zu wenig geben wird, sind einfache Rückzugsorte, intensive Erlebnisangebote und Held:innen in diesen Kategorien.

Was braucht es also für heimische Tourismusbetriebe, um sich besser positionieren zu können? Es braucht weniger Infrastruktur, dafür bessere Ideen. So wie bei Marken kaufen die Leute nicht nur ein Produkt, sondern eine Idee. Man muss sich die Frage stellen, welche Werte man vermitteln möchte: Wer kann mir eine Möglichkeit geben, am Berg das einfache Leben am eigenen Leib zu spüren? Da geht es weniger um zum Luxus ausgebaute Almhütten als vielmehr um vom Luxus zurückgebaute Rückzugsstätten. Wenn es mehr sein soll, dann muss es besser werden. Am Berg bedeutet das oftmals: Wenn es mehr sein soll, dann muss es einfacher werden. Einfacher auch im Angebot, aber dafür stärker in der Idee.

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© Storyteller-Labs

Zur Person: 
Christoph Engl
ist ein international erfahrener Spezialist für Markenentwicklung und Bergsportexperte. Von der Rechtsabteilung über das Südtirol Marketing bis hin zur Arbeit als Dozent am MCI in Innsbruck spannt seine Laufbahn einen weiten Bogen. Seit 2018 bekleidet er als CEO das Amt der Geschäftsführung des weltweit tätigen Bergsporthauses Oberalp Gruppe in Bozen.

 

Welche Verantwortung haben hier TVB? Sie haben die Aufgabe, die geistige Leadership für die notwendigen Veränderungen zu übernehmen und diese Themen für die Stakeholder:innen bzw. Kund:innen aufzubereiten, damit sich diese auch mit den neuen Ideen beschäftigen. Im Tourismus stelle ich grundsätzlich fest, dass es zu wenig Mut zu neuen Ideen gibt. Es braucht Ideen, die ein bisschen weggehen von „Wir machen alles wie gehabt, nur größer und besser“, etwa einen schnelleren Lift und mehr Pistenangebot. Das braucht es sicher auch, aber auf der anderen Seite wird es die Nachfrage nicht nur nach herkömmlichen Freizeitmöglichkeiten geben, sondern auch nach neuen Erfahrungen.

Was löst die Wanderung in mir aus, wenn ich in der Hütte ankomme? Steht da jemand, der das mit mir reflektiert? Tourismusverbände müssen da sehr auf die gesellschaftlichen Entwicklungen achten. Ich glaube, der Tourismus folgt eher den Trends, als dass er sie antizipiert. Man hofft auf die nächste Saison. Sich auf Hoffnung zu verlassen, ist eine schöne Qualität, strategisch jedoch nicht gerade die günstigste. Man muss Trends antizipieren, statt auf Dauer ein Nachahmer zu sein.

Was würden Sie der Marke Tirol abschließend noch mit auf den Weg geben? Tirol hat immer einen sehr eigenen Weg gewählt – was ich nur gutheißen kann. Wenn man eine starke Marke sein möchte, dann braucht es genügend Abgrenzung und eine möglichst kleine Annäherungsquote an das, was andere machen. Insofern glaube ich, Tirol hat das sehr gut erkannt. Es geht darum, die Eigenständigkeit zu entwickeln. Was wollen wir im Sommer sein? Dafür braucht man ein sehr klares Bild. Verbessere dich nicht, indem du das machst, was andere machen. Entwickle eine Eigenständigkeit, eine eigene Persönlichkeit und suche dir jene Leute, die genau diese Idee bei sich selbst als Sehnsucht abgebildet haben. Dann bist du erfolgreich.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Berges verändert sich.“

Text: Michaela Ehammer.

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